Der kubisch-minimalistische Pavillion der Architekten Nietz-Tschoban-Voss animierte Michaela Seliger zur Realisation ihrer Rauminstallation „Lichtschnitt-Lightcut“ im April 2003: ein Oval aus 12 satinierten, transluzenten, in sich leuchtenden Acrylglasscheiben interagiert mit der schreinartigen Strenge des Bauwerkes aus Glas, Metall und Beton.
Nicola Kuhn (Kunstkritikerin, “Tagesspiegel”, Berlin) über Michaela Seliger
anlässlich der Ausstellung „Lichtschnitt-Lightcut“ bei AEDES, Berlin 2003 (Katalog)
Ein Zufallsfund nur, der am Anfang stand: am letzten Abend eines mehrwöchigen New York-Aufenthalts in New-York entdeckte Michaela Seliger neben Abfalltonnen eine Tüte mit den weggeworfenen Gedenkkerzen einer buddhistischen Gemeinde. Die Kerzen waren bereits woanders entsorgt. Die Künstlerin war nur auf die leeren Hüllen gestoßen, die es für sie aber dennoch in sich hatten. Nur sieben Zentimeter groß, bestehen sie aus einem aufrecht stehenden, goldfarbenen Aluminiumbehältnis, dass vorne von einer kleinen Plexiglasscheibe geschlossen wird. Die nach ihrem Gebrauch achtlos weggeworfenen Gedenklichter besitzen die unserem westlichen Kulturraum ebenfalls bekannte Mandorla-Form, die im hiesigen Kontext allerdings eine Madonna umschließt. In diesem Fall ist in die mandelförmige Rahmung aus Metall eine buddhistische Gottheit gestanzt. Sie bildet den Hintergrund für die im Aluminiumgehäuse aufgestellte Kerze, von der noch Rußspuren zeugen. Davor befindet sich eine nach Entzünden eingesetzte Plexiglasscheibe ebenfalls in Mandorla-Form, die mit flüchtigen chinesischen Schriftzeichen in Rot überdeckt ist. Vermutlich sind darin die Namen der angeflehten Gottheit, des Angehörigen, für den gebetet wird, oder die Fürbitte selbst zu lesen.
Ein Zufallsfund nur, und doch kein Zufall. Sowohl das verwerten vorgefundener Materialien, ihr serieller Einsatz als auch die Auseinandersetzung mit ihrer spirituellen Aura gehören zu den Arbeitsprinzipien von Michaela Seliger. Die Künstlerin selbst kommentiert den Zufallsfund mit der halb scherzhaften Bemerkung „Die Erleuchtung traf mich in Süd-Manhattan“. Weiß um die sensible Ausgangssituation, dass nur derjenige findet, der nicht sucht. So zieht sich wie ein roter Faden die Beschäftigung mit Gegenständen des Alltags durch ihr Werk: mal sind es Wurfpfeile, mal blumenförmige Plastikteller, die zum Kunstgegenstand nobilitiert werden.
Das Prinzip ist seit der PopArt bekannt; so lassen sich die Plastikteller in Blumenform auch als entfernte Grußadresse an Andy Warhols „Flowers“ lesen. Michaela Seliger beschreitet jedoch den umgekehrten Weg. Ihr geht es um die Erhebung des Alltäglichen, gerade nicht die Trivialisierung des künstlerischen. Durch die Reihung, in der sich die Alltagsgegenstände präsentieren, wird der Blick zunächst für deren besondere Formung und Stofflichkeit sensibilisiert, ihre Erscheinung Materialität also. Das Auge folgt mit einer neu geweckten Neugierde der Linie eines völlig banalen Objektes, mag darin plötzlich einen kühnen Schwung oder sogar Eleganz entdecken.
Zu den gängigen Methoden der Blickführung wurde es nun gehören, die Perspektive noch einmal umzuleiten, die antrainierten Sehgewohnheiten des Kunstroutiniers zu brechen und den Alltagsgegenstand erneut zu desavouieren. Michaela Seliger gibt die von ihr eingesetzten Objekte jedoch nicht wieder preis. Durch Verwendung von Bienenwachs und Blattgold steigert sie sogar deren Veredelung. Die Künstlerin bedient sich hier bis ins Mittelalter zurückgehender Materialcodes die auch heute ihre Wirkung haben. so stellt sich fast von alleine ein quasi religiösen Kontext ein. Dieser wurde evident 1992 bei ihrer Installation in der Mönchskirche Salzwedel oder durch die Verwendung von Madonnenbildnissen und Kreuzmotiven in collagenartigen Bildern.
Diese verschiedenen Strömung im Werk von Michaela Seliger fügen sich auf wunderbare Weise noch einmal zusammen in den Zufalls-oder vielmehr Glücksfund in einer Seitenstraße von SoHo. Gezielt setzt die Künstlerin die spirituelle Kraft der ausgedienten buddhistischen Gedenklichter ein.
Aus einem anderen Kulturkreis kommend, bleiben wir jedoch von ihr ausgeschlossen, da wir ihre korrekte Verwendung, ihre eigentliche Bedeutung nur vermuten können. Die Künstlerin öffnet damit einen Spannungsraum, der in der zeitgenössischen Kunst nur selten betreten wird. „In unserer angeblich atheistischen, hedonistischen, posttraditionellen, säkularen Kultur, in der niemand bereit ist, seinen Glauben einzugestehen, ist die zugrundeliegende Struktur des Glaubens dafür umso weiter verbreitet: wir alle glauben heimlich“, so Slavoj Žižek, in seinem Buch „Die gnadenlose Liebe“(1). Michaela Seliger macht mit ihrer Installation diesen Widerspruch sichtbar. Der puristische Ausstellungskubus der Architekten Nietz-Prasch-Sigl-Tschoban-Voss den idealen Rahmen für Michaela Seligers Installation in der Galerie Aedes-East. In dem Raum sind zwölf saturierte, Licht speichernde Plexiglasscheiben an Nylonfäden gehängt, die zusammen eine ovale Grundform bilden. Sechs der rotgrundigen Scheiben zeigen das Gesicht des Buddhas von den Gedenklichtern, dass nun in einem Blow up-Verfahren auf die hundert mal hundert Zentimeter großen Tafeln gefräst wurde.
Durch die Anbringung einer Lichtschiene am oberen Rand der Scheiben beginnen die bearbeitenden Zonen innerlich zu leuchten, was den Buddhas trotz der Verfremdung eine mystische Aura verleiht. Die anderen sechs Tafeln sind von Hand bearbeitet. Die Künstlerin hat in den noch weichen, gestisch aufgetragenen Bienenwachs das Motiv der Buddha-Figur gestempelt. Tritt man von außen an den Ausstellungskubus heran, erscheint er geradezu wie ein Lichtschrein. In seiner Klarheit und Rationalität bietet er den Gegenpol sowohl zum transzendenten Moment als auch zur kitschigen Erscheinung der buddhistischen Gedenklichter, die Ausgangspunkt der Installation von Michaela Seliger sind. Die Kühle der Architektur offenbart noch einmal die Spannweite zwischen dem bisschen Blech und Plastik einerseits und dessen emotionaler Aufgeladenheit. Und zugleich der Glaubenssache Kunst.
Nicola Kuhn
(1) Slavoj Žižek: „Die gnadenlose Liebe“. Frankfurt/Main 2001, S. 9.